ABSTRACT

 

 

 

 

Kompressionssyndrome der unteren Extremität
aus neurologischer Sicht

 

Kompressionssyndrome der unteren Extremität
aus neurologischer Sicht

Christof Kessler
Klinik und Poliklinik für Neurologie
Universitätsklinikum der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

 

Schmerzen im Bereich der unteren Extremitäten sind ein häufiges und wichtiges differentialdiagnostisches Problem in der täglichen Praxis.

Unabdingbar ist eine ausführliche Anamnese mit Klärung der Fragen

chronisch – akut?;
radikuläre Schmerzausstrahlung?;
Lokalisation des Schmerzes?;
besteht eine Belastungsabhängigkeit?

In einer ausführlichen neurologischen Untersuchung muss festgestellt werden, ob Sensibilitätsstörungen, Reflexausfälle oder Lähmungen vorhanden sind. Bei Fehlen objektiver neurologischer Befunde muss eine orthopädische Schmerzverursachung (z. B. Coxar-throse) bedacht werden. Neben den Bandscheibenvorfällen, die in der Regel zu akuten oder chronischen Wurzelkompressionssyndromen führen, können Druckläsionen des Plexus lumbosacralis auftreten. Durch die geschützte Lage im Becken und dem Fehlen anatomischer Engpässe treten diese wesentlich seltener als druckbedingte Armplexusläsionen auf. Druck durch pathologisch veränderte Organe des Beckenraumes (Aneurysma der Aorta abdominalis, retroperitoneale Hämatome, Tumorinvasion oder Psoas-Abszesse oder Schwangerschaft) können zu Beinplexusläsionen führen.

Ein häufiges Kompressionssyndrom im Bereich des Leistenbandes ist die Meralgia par-aesthetica, die durch eine Kompression des N. cutaneus femoris lateralis entsteht. Die Patienten klagen über brennende Schmerzen und Parästhesien an der Oberschenkelseite, oft im Zusammenhang mit längerem Stehen und bei Bewegungen. Sie treten häufig in Abhängigkeit von lokalen Momenten (Tragen von engen Kleidungsstücken, z. B. Jeans), aber auch bei enormem Übergewicht (Hängebauch) auf. Klinisch findet sich eine Sensibilitätsstörung im Bereich der Vorderaußenseite des distalen Oberschenkels, therapeutisch kann eine Injektion von Novocain am Durchtrittspunkt des Nerven durch das Leistenband Erleichterung schaffen.

Eine Läsion des N. femoralis führt im Wesentlichen zu einer Lähmung der Kniestreckung, so dass z. B. Treppensteigen erschwert ist. Kompressionen dieses Nerven können durch Hämatome entstehen, jedoch auch durch retroperitoneale maligne Lymphome, Aorten-aneurysmen und Psoas-Abszesse.

Kompressionen des N. saphenus im s. g. Hunterschen Kanal führen zu Schmerzen und einem Schweregefühl des distalen Ober- und Unterschenkels , ferner tritt eine Druckdolenz des N. saphenus im distalen Drittel des Oberschenkels auf. Ein Ast des N. saphenus, der Ramus infrapatellaris, durchbohrt die Faszie proximal des Condylus medialis femoris, an dieser Stelle kann er mechanisch gereizt werden und zu einem Schmerzsyndrom des Knies führen (Neuropathia patellae).

Im Bereich des Unterschenkels ist das häufigste Kompressionssyndrom das Tarsaltunnel-Syndrom, welches im Gefolge einer traumatischen Läsion der Knöchelregion oder lediglich einer Distorsio pedis auftreten, aber auch ohne spezielle traumatische Ursachen auftreten kann. Es kommt zu einer Kompression des N. tibialis bzw. seiner Äste im Bereich des Malleolus medialis unter dem Retinaculum musculum flexorum.

Klinisch entstehen schmerzhafte Missempfindungen der Fußsohle, manchmal auch nachts, die durch Gehen verstärkt werden. Objektiv findet sich eine Sensibilitätsstörung im Ausbreitungsgebiet der Nn. plantaris, verminderte oder fehlende Schweißsekretion an der Fußsohle und eine Parese der kleinen Fußmuskeln.

Außer dieser fassbaren, durch neurologische Ausfälle gekennzeichneten Form gibt es Fälle, in welchen lediglich ein subjektives Beschwerdebild vorliegt. Die Therapie besteht, ähnlich wie beim Karpaltunnel-Syndrom, in einer operativen Freilegung dieser Gegend.

 

Engpasssyndrome können sehr quälend sein, sie müssen sorgfältig klinisch-neurologisch und neurophysiologisch abgeklärt werden.