Schmerzphänomene der oberen Extremität aus morphologischer Sicht

J. Fanghänel (Greifswald), U. Preuße (Essen)

 

Schmerzphänomene an der oberen Extremität haben vielfältige Ursachen und fallen demnach auch ganz unterschiedlich aus. Auf Grund der anatomischen Strukturen kann es sich um Engpaßsyndrome (Kanäle, Faszien), Zustand nach Frakturen/ Luxationen oder auch Fehlbildungen, Durchblutungsstörungen und Bindegewebsreaktionen sowie rheumatoide Reaktionen handeln. Durch die embryologische Entwicklung der Gliedmaßen (Auswachsen der Extremitätenknospen, Vermischung des Nervenmaterials) ist eine streng segmentale Gliederung nicht gegeben, sondern wir müssen den aus dem Plexus brachialis entspringenden Nerven Rechnung tragen. So ist die Kenntnis der Innervationsmuster unbedingt notwendig. Die resultierenden Schmerzen können lokal oder fortgeleitet entsprechend der Nervenbahnen ausfallen.

 

 1.) Kompressionssyndrome durch Engpässe

Es gibt eine breite Palette und Möglichkeiten der Kompression des Plexus brachialis, z. B. die Thoracic outlet-Syndrome, ein Sammelbegriff für viele Möglichkeiten von Kompressionen an/ in der oberen Thoraxapertur. Dabei ist der Ort der Kompression unterschiedlich: Skalenuslücke (Halsrippensyndrom, Skalenus-anterior-Syndrom), Kostoklavikularspalt (Kostoklavikularsyndrom), Korakopektoralraum (Hyperabduktionssyndrom) sowie Processus coracoideus des Schulterblattes (Subkorakoid - pektoralis minor - Syndrom). Funktionelle Veränderungen der oberen Thoraxapertur und die daraus resultierenden Entrepment-syndrome sind nicht selten Folge einer diaphragmalen Irritation.

Armplexuslähmungen und entsprechende Schmerzsensationen kommen vor nach Geburtstraumen, Unfällen oder Röntgenbestrahlungen. Wir unterscheiden dabei
obere Plexuslähmung = Duchenne-Erb-Lähmung (C4 – C6),
mittlere Plexuslähmung (C5 – C6),
untere Plexuslähmung = Déjerine-Klumpke-Lähmung (C8 – Th1, evtl. C7).
Im klinischen Alltag finden sich diese klassischen Lähmungsphänomene nur selten. In Analogie hierzu finden sich jedoch häufig passagere Neuralgien, deren neurologische Zuordnung Grundlage der möglichen therapeutischen Interventionen ist.

Der Painful arcus ist ein schmerzhafter (Abduktions-)Bogen bei Impingementsyndrom durch Druck auf die Supraspinatussehne in der Enge zwischen Acromion und Tuberculum majus. Die Medianuskompression bei zu engem Pronatorkanal (Medianustunnel) ist ebenfalls ein peripheres Kompressionssyndrom. Der zu enge Canalis cubitalis macht am N. ulnaris Druckschäden. Der N. radialis kann durch eine sog. Frohse-Arkade komprimiert werden.

Beim Karpal-Borsing-Syndrom springt der Proc. styloideus des Os metacarpale III nach dorsal und verursacht Reizerscheinungen. Das Pronator teres-Syndrom und das Supinatortunnelsyndrom gehen mit Medianus- und Radialisschädigungen einher. Karpaltunnelsyndrom (und Guyon-Tunnel-Syndrom) ist das häufigste periphere Kompressionssyndrom, bedingt durch zahlreiche anatomische Besonderheiten (überzählige Sehnen und Muskelbäuche, atypische Karpalknochen und Gefäßverläufe), Frakturen, rheumatische Arthritis, Diabetes mellitus und Schwangerschaft.

 

 2.) Zustand nach Frakturen

Primäre und sekundäre Schädigungen von Nerven können auftreten durch Nerven-Unterbrechungen, Kallusbildungen oder Repositionsmanöver. So entstehen Radialis-lähmungen am Humerus. Ähnliche Phänomene finden wir bei Humerusfrakturen, Parierfrakturen (Ulna), Monteggia-Luxationsfrakturen (Ulna/ Radius), Galeazzi-Luxationsfrakturen und Olecranon-Frakturen. Durch Degeneration kann die Sehne des lange Bizepskopfes ruptuieren. Bei der Luxatio acromioclavicularis finden sich Bandrupturen und Bewegungsschmerz. Die Kahnbeinfraktur ist die häufigste Fraktur der Handwurzelknochen mit vielen Komplikationen (Pseudoarthrose) und Schmerzen.

 

 3.) Fehlbildungen

Angeborene Fehlbildungen der oberen Extremität wie Radiusaplasie (Klumphand), Diplocheirie (Doppelhand), Syndaktylie (Fingerverschmelzung), Spalthand (fehlender Mittelfingerstrahl) können durchaus zur Veränderung der embryonal angelegten Innovationsmuster führen. Dies sind allerdings sehr seltene Fälle. Überzählige Rippen können Kompressionssyndrome hervorrufen. Beim Poland-Symptomenkomplex finden wir u. a. eine einseitige Anomalie der Hand und Aplasie des M. pectoralis major. Durch Ausbildung eines "Proc. supracondylaris", ein atavistischer Knochenfortsatz proximal des Epicondylus medialis mit "Struther-Ligament", ist eine Kompression des N. medialis möglich.

 

 4.) Durchblutungsstörungen

Die Folgen sind ischiämische Schmerzen. Bei der Adelmann-Beugung wird die A. brachialis extrem komprimiert. Das Raynaud-Syndrom sind sporadische Gefäßkrämpfe mit Ischiämie, zumeist an den Arterien der Finger (Digg. II – V), besonders bei Frauen zu beobachten.

 

 5.)Bindegewebs- und rheumatoide Reaktionen

Sehnenansatz-Überlastungen (Insertionstendopathien) können Schmerzphänomene verursachen, ebenfalls Prozesse (degenerative Veränderungen, Verschleiß) in Gelenken, z. B. bei Polyarthritis. Die Rhizarthrose ist eine Arthrose des Daumensattelgelenkes durch hohe Belastungen bei Opposition. Schmerzen können bis in den Unterarm strahlen.

Entzündungen oberhalb oder dorsal der Aponeurosis palmaris setzen das stark gekammerte Subkutangewebe unter Druck und verursachen Spannungsschmerzen. Schmerzen treten auf bei Dupuytren-Kontraktur der Finger (bes. Digg. IV, V) infolge bindegewebig-derber Verhärtung und Schrumpfung der Palmaraponeurose sowie der Hautbänder mit Bildung derber Stränge und Knoten, bei Männern mehr bevorzugt.