Klinische Anatomie der Orbita
Jürgen Giebel, Greifswald

 

Die Orbita enthält die Augen, die Augenmuskeln, Gefäße und Nerven, die Tränendrüse sowie fasciale Gebilde und Fett.

Die knöcherne Orbita hat die Form einer vierkantigen Hohlpyramide an der sich eine Spitze (nach hinten medial gerichtet), eine Basis (nach vorn gerichtet), ein Boden, ein Dach sowie eine laterale und eine mediale Wand unterschieden lassen. Der oberer Rand der Basis, die auch den Eingang zur Orbita darstellt, wird vom Stirnbein und der untere Rand von Maxilla und Jochbein begrenzt.

Das Dach der Orbita ist eine dünne Platte und wird von der Pars orbitalis des Stirnbeins sowie von der Ala minor des Keilbeins gebildet. Medial findet sich die Fovea trochlearis mit einer Umlenkrolle für den M. trochlearis. Lateral vorn vertieft sich das Dach der Orbita zur Fossa glandulae lacrimalis während sich hinten medial (an der Grenze von Dach und medialer Wand) der Canalis opticus befindet, durch den der N. opticus und die A. ophthalmica verlaufen. Am medialen, oberen und unteren Rand des Canalis opticus findet sich der Anulus tendineus communis, über den die 4 geraden Augenmuskeln am Knochen befestigt sind.

Die mediale Wand steht nahezu senkrecht, ist extrem dünn und besteht aus dem Stirnfortsatz der Maxilla, dem Tränenbein, der Lamina orbitalis des Siebbeins, dem Keilbeinkörper und der Wurzel des kleinen Keilbeinflügels. Am hinteren Rand bildet sie auch die laterale Wand des Sinus sphenoidalis. Am Oberrand der Lamina orbitalis des Siebbeins liegen die Foramina ethmoidalia für den Durchtritt des N. ethmoidales anterior und posterior mit den Begleitgefäßen. Des weiteren findet sich anteromedial die Fossa sacci lacrimalis, die sich nach unten in den Tränennasengang fortsetzt (Abb. 1, Abb. 2).


Abbildung 1. Knöcherne Komposition der Orbita (aus Moore, Clinical oriented Anatomy, Lippincott Williams, 1999.)

An der Bildung des Orbita-Bodens beteiligen sich die Maxilla und das Jochbein, sowie der Proc. orbitalis des Gaumenbeins. Der Boden der Orbita verläuft nicht ganz horizontal, sondern steigt nach lateral etwas an, stellt größtenteils die Bedeckung des Sinus maxillaris dar und ist im hinteren Bereich und im Übergang zur lateralen Wand durch die Fissura orbitalis inferior geteilt. Dadurch entstehen Verbindungen zur Fossa pterygopalatina sowie zur Fossa infratemporalis. Durch die Fissura orbitalis inferior ziehen der N. infraorbitalis (Ast des N. maxillaris, V2) mit der A. infraorbitalis und der V. ophthalmica inferior. Infraorbitalgefäße und N. infraorbitalis laufen im Sulcus infraorbitalis, der sich zum Canalis infraorbitalis schließt, nach vorn.

Die laterale Wand wird gebildet vorn vom Jochbein, oben durch den Proc. zygomaticus des Stirnbeins und hinten durch die Ala major des Keilbein. Sie ist im hinteren Bereich durch die Fissura orbitalis superior, die zwischen großem und kleinem Keilbeinflügel liegt, von der oberen Wand getrennt. Durch die Fissur treten der N. oculomotorius (M. levator palpebrae sup., M. rectus sup., med. und inf., M. obliquus internus) N. trochlearis (M. obliquus sup.), N. abducens (M. rectus lat.) sowie der sensible N. ophthalmicus (V1). Dieser gibt in der Orbita 3 Äste ab: N. lacrimalis, N. frontalis, N. nasociliaris.

Neben den Augenmuskeln, den sie versorgenden Nerven, Gefäßen, durchziehenden Nerven (N. ophthalmicus), dem Augapfel und dem retrobulbären Fettkörper befindet sich am hinteren Anteil der lateralen Orbitawand (zwischen N. opticus und M. rectus lateralis) das parasympathische Ganglion ciliare. Hier erfolgt die Umschaltung von parasympathischen Fasern für den M. sphincter pupillae (Pupillenverengung), und zum M. ciliaris (Akkomodation), die über den N. oculomotorius aus dem Nucleus oculomotorius accessorius des Mittelhirns das Ganglion erreichen. Außerdem ziehen postganglionäre sympathische Fasern, deren Umschaltung in den Halsganglien erfolgt, in die Augenhöhle. Sie versorgen u. a. den M. dilatator pupillae (Pupillenerweiterung).

 

Anatomische Beziehungen der Orbita zu anderen Strukturen

Die Tränendrüse wird parasympathisch aus dem Ganglion pterygopalatinum (welches die parasympathischen Fasern über den N. petrosus major aus dem N. facialis erhält) über eine Verbindung zwischen N. zygomaticus und N. lacrimalis innerviert. Über diesen Weg kommen auch sympathische Fasern aus dem Plexus caroticus internus zur Tränendrüse.

Die sympathischen Fasern stammen aus dem Halsgrenzstrang (Ggl. cervicale superius/medius/inferius bzw. stellatum) und gelangen über die A. ophthalmica die aus der A. carotis int. stammt in die Orbita. Der Ursprung der sympathischen Fasern liegt in den Rückenmarksegmenten C8-Th3 (Centrum ciliospinale). Bei Blockade/temporärer Ausschaltung des Ganglion stellatum, welches auf Höhe von C7 liegt, kommt es zum Horner-Syndrom [Miosis (Ausfall des M. dilatator pupillae), Ptosis (Ausfall des M. tarsalis sup.), Enophthalmus (Ausfall des M. orbitalis), Rötung und Trockenheit des Auges, erhöhte Hauttemperatur auf der erkrankten Seite]. Da sympathische Fasern aus dem Ggl. stellatum die Schilddrüse erreichen und auch ein Geflecht um die A. subclavia (Plexus subclavius) bilden, können Behinderungen im Sternoclaviculargelenk zu einer funktionellen Hyperthyreose führen, die oft von unklarem Augenschmerz begleitet ist. Irritationen des Halsgrenzstranges bzw. der zuführenden Segmente können somit auf das Auge Einfluß nehmen.

Aufgrund der komplexen knöchernen Begrenzung können Stellungsveränderungen z.B. des Os temporale oder des Os sphenoidale das Auge beeinflussen.

Entzündliche Prozesse der Nase bzw. der Nasennebenhöhlen können aufgrund der Nachbarschaft in die Orbita übertreten. Der N. nasociliaris gibt in der Orbita Äste für die Nase ab (Nn. ethmoidales ant./post.)


Abbildung 2. Frontalschnitt durch die Orbita. Der Inhalt der Orbita sowie die Nachbarschaftsbeziehungen zu den Nasennebenhöhlen (Sinus frontalis, maxillaris, ethmoidalis) sind deutlich erkennbar (aus Moore, Clinical oriented Anatomy, Lippincott Williams, 1999).

Die Nerven und Gefäße, die in die Orbita ziehen, haben eine unmittelbare topographische Beziehung zum Sinus cavernosus (Abb. 3). Dieser liegt beidseits des Os sphenoidale (Sella turcica, Fossa hypophysealis, Sinus sphenoidalis) und ist durch den Sinus intervavernosus verbunden. Durch die Wand dieses venösen Blutleiters verlaufen der N. oculomotorius, N. trochlearis, N. ophthalmicus und N. maxillaris. Die A. carotis interna (mit ihrem sympathischem Geflecht) sowie der N. abducens verlaufen direkt durch den Sinus. Durch diese anatomische Lagebeziehung ist eine Irritation/Schädigung der Nerven und der Arterie bei Sinusthrombose möglich (Abb. 4).

Es ist außerdem zu beachten, daß der N. opticus und auch andere Augennerven in Hirnhauttaschen liegen, bzw von Hirnhaut umgeben sind. Dieses trifft besonders für den N. opticus zu, der von Dura mater umgeben ist. Er läuft durch den Canalis opticus in die mittlere Schädelgrube. Er ist von Dura mater umgeben und liegt lateral oben am Keilbeinkörper, bildet das Chiasma opticum und hat topographische Beziehung zur Hypophyse, Keilbeinhöhle und dem Sinus cavernosus.


Abbildung 3. Lagebeziehung des Sinus cavernosus zur Orbita (aus Netter, Atlas der Anatomie des Menschen, Ciba Geigy, Basel, 1994).


Abbildung 4. Topographische Beziehungen der Augenmuskelnerven, den Ästen des N. trigeminus und der A. carotis interna zum Sinus cavernosus (aus Netter, Atlas der Anatomie des Menschen, Ciba Geigy, Basel, 1994).