PD Dr. J. Machetanz
Neurologische Klinik, Heinrich Braun Krankenhaus Zwickau

 

Carpaltunnelsyndrom

 

Das Carpaltunnelsyndrom (CTS) ist eine der häufigsten Erkrankungen im Bereich des Arms, die mit Schmerzen einher geht. Es entsteht durch Kompression des N. medianus unter dem Ligamentum carpi transversum. Klinisch ist das Vollbild charakterisiert durch Sensibilitätsstörungen der Volarseite der radialen 3 1/2 Finger und der radialen Handfläche sowie eine Parese der Daumenabduktion. Aus Sicht der Patienten stehen häufig Reizerscheinungen wie Kribbelmißempfindungen der Hände im Vordergrund, die schmerzhaften Charakter haben können und nicht nur in der Hand sondern auch nach proximal in den Unter- und sogar Oberarm projiziert empfunden werden. Diese Beschwerden treten häufig in Ruhe und nächtlich betont auf, mit Provokation durch vorangegangene Belastung der Hand. In ausgeprägteren Fällen hinzukommende Hypästhesien und Paresen der Hand werden als Erschwernis bei feinmotorischen Arbeiten (Zuknöpfen von Kleidung) sowie bei einzelnen manuellen Tätigkeiten (Schraubverschlüsse von Gläsern öffnen) registriert. In der Mehrzahl der Fälle liegt eine über einen längeren Zeitraum progrediente und über die Zeit manchmal auch fluktuierende Symptomatik vor. In einzelnen Fällen kommt es nach extremer ungewohnter Belastung der Hand (z.B. mehrstündiges Bohren in Stahlbeton) zu einer akuten Symptomentwicklung. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle sind Patienten mittleren bis höheren Alters betroffen. Die Häufigkeit ist in Assoziation mit einer Schwangerschaft sowie einzelnen Erkrankungen (Akromegalie, Amyloidose, Diabetes) erhöht. Die Aufgabe der klinisch neurologischen und neurophysiologischen Diagnostik besteht darin, 1.) eine differentialdiagnostische Abgrenzung (vor allem gegen ein radikuläres C6/C7 Syndrom, eine proximale Medianusläsion, eine mehrere Nerven betreffende Polyneuropathie oder nicht-neurologische Ursachen) zu leisten und 2.) in Anbetracht der stark unterschiedlichen individuellen Symptomempfindlichkeit eine evtl. Operationsindikation auf den Boden objektiver Kriterien zu stellen. Die elektrophysiologische Untersuchung beinhaltet obligatorisch die Messung der sensiblen und motorischen Leitgeschwindigkeit des N. medianus und im Falle eines pathologischen Befundes ein EMG des M. abductor pollicis brevis. Bei pathologischen Befunden halte ich zudem eine proximale Medianus -NLG und eine Untersuchung des N. ulnaris für obligat. Differentialdiagnostische Kernpunkte gegenüber einem C6/7 Syndrom sind die fehlende Beschwerdeprovokation durch Bewegungen der H WS, der unbeeinflußte Bizepssehnenreflex bzw. Trizepssehnenreflex, die Lokalisation einer evtl. Parese in der operativen Daumenabduktion und nicht in der Ellenbogenbeugung/ Schulterabduktion bzw. Ellenbogenstreckung/Handgelenksstreckung sowie das Verteilungsmuster der klinisch getesteten Sensibilitätsstörung (eine Schmerzausstrahlung in den Arm spricht nicht gegen ein CTS, wohl aber eine Hypästhesie über der Radialseite des Unterarms). Hinsichtlich einer proximalen Medianusläsion ist insbesondere auf Beugeparesen der Finger 1-3 zu achten, die beim CTS nicht vorliegen. Eine distal symmetrische Polyneuropathie, die klar pathologische Medianus Befunde verursacht, wird klinisch und elektrophysiologisch nur sehr selten isoliert auf den N. medianus beschränkt bleiben sondern auch andere Nerven betreffen, weshalb die Untersuchung über den N. medianus hinaus ausgedehnt werden muß. In der Abschätzung der OP Indikation ist zu beachten, daß eine Polyneuropathie zu einem CTS prädisponieren kann, so daß bei typischen CTS Beschwerden die Feststellung einer Neuropathie nicht unbedingt von einer Therapie ausschließen sollte. Als klinische Tests für ein CTS wurden verschiedene Verfahren vorgeschlagen. (Hoffmann-Tinel, Phalen, umgekehrter Phalen, Tourniquet Test), die insgesamt jedoch in kontrollierten Studien nur eine eingeschränkte Sensitivität und Spezifität gezeigt haben, so daß sie für die klinische Entscheidungsfindung nur eine untergeordnete Rolle spielen. Die Möglichkeiten der bildgebenden Diagnostik des CTS mit CT und MRT ist in den letzten Jahren zunehmend erforscht worden. In Anbetracht der ohnehin erforderlichen klinischen und neurophysiologischen Diagnostik, die in der überwiegenden Mehrzahl die zur OP-Indikation erforderlichen Informationen erbringt, sind beim CTS ein CT oder MRT mit Ausnahme seltener Spezialfragestellungen nicht indiziert. OP-Kriterien aus neurologischer Sicht sind klinisch persistierende Sensibilitätsstörungen sowie Paresen der Daumenabduktion. Bei gesicherter Diagnose kann man sich jedoch auch bei über längere Zeit bestehenden nächtlichen Beschwerden zu einer OP entschließen. Die Therapie besteht in einer Spaltung des Ligamentum carpi transversum. Während die offene Operation ein gut etabliertes und relativ unkompliziertes Verfahren darstellt, kann mit endoskopischer Technik die Invasivität reduziert und damit der operationsbedingte Funktionsausfall der Hand verkürzt werden. Es darf den Patienten nicht verschwiegen werden, daß das Auftreten von Operationskomplikationen, wie z.B. einer Sudeck’schen Dystrophie zwar selten ist, aber doch nicht eine solche Rarität, daß man bei nur minimalen Beschwerden bedenkenlos zur OP raten kann. An konservativen Therapiemaßnahmen sollten nächtlich anzulegende volare Handgelenksschienen als nicht-invasive Maßnahmen bei fehlenden manifesten Ausfällen versucht werden. Der Erfolg ist häufig nicht zufriedenstellend. Die lokale Injektionsbehandlung mit Cortikoiden ist in mehreren Studien als wirksam belegt; in seltenen Fällen kommen aber immer wieder unbeabsichtigte Injektionen in den Nerven mit persistierenden Schäden vor.