Duraverhältnisse am Kopf und deren klinische Bedeutung

I. Paul
Institut für Anatomie der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

 

Die Dura mater cranii stellt eine derbe, sehnig glänzende Membran dar, die aus mehreren Lagen trajektoriell angeordneter kollagener Faserbündel mit eingelagerten elastischen Fasernetzen aufgebaut ist. Sie hat vor allem mechanische Funktionen, für die ihre trajektorielle Strukturierung grundlegend ist. Für die Schädelkalotte ist sie Teil eines Rundbogengewölbes mit Längs- und Querverstrebungen durch die Durasepten. Alle mechanischen Einwirkungen auf den Schädel übertragen sich auch auf die Dura, die ihnen Widerstand leistet und kräfteverteilend wirkt. Zugleich schützt sie das Gehirn gegen solche Einwirkungen und stabilisiert durch die Septen seine Lage. Durch starrwandige Sinus wird das Venenblut des Gehirns in kompressionsgeschützte Kanäle abgeleitet.

Topographisch wird die kraniale Dura in Dura parietalis und Dura septalis gegliedert; beide Abschnitte bilden aber morphologisch und funktionell eine Einheit.

Die wandständige Dura parietalis überzieht die Innenfläche des Kraniums. Sie besteht aus zwei Schichten bzw. Blättern, die nur dort nicht miteinander verwachsen sind, wo sie bestimmte Inhaltsgebilde (z. B. die Bluträume der Sinus) einschließen. Das äußere (periostale) Blatt bildet das Periost der Schädelinnenfläche, das innere (meningeale) die eigentliche Dura mater, d. h. die "derbe Umhüllende" des Gehirns. Embryonal sind die Blätter zunächst getrennt; in einer späteren Entwicklung verschmelzen sie zur definitiven Dura parietalis.

Beim Neugeborenen ist das periostale Blatt (und damit die ganze parietale Dura) noch fest und flächenhaft mit den Schädelknochen verwachsen, da von ihm Knochenbildung ausgeht. Mit zunehmenden Alter kann es jedoch relativ leicht vom Knochen abgelöst werden (was die Bildung großer epiduraler Hämatome nach Zerreißung von Duragefäßen ermöglicht); lediglich an den Schädelnähten und an bestimmten umschriebenen Stellen der Schädelbasis bleibt die Fixierung bestehen. Wegen der Schmerzempfindlichkeit der Dura gegenüber Zug und Druck sind diese Beziehungen bedeutungsvoll. Das gilt auch für ihr Verhalten an den Löchern der Schädelbasis. Das parietale Blatt geht hier in das äußere Periost der Schädelaußenfläche über. Das meningeale Blatt zieht am Foramen magnum als Dura mater spinalis in den Wirbelkanal; an den Nervenaustrittslöchern geht es kontinuierlich über in die Bindegewebshülle (Epineurium) der Hirnnerven. Dasselbe macht auch die spinale Dura am Beginn der Spinalnerven. Letztlich ist dadurch, d. h. durch das stark verzweigte periphere Nervensystem, das Gesamtsystem der Dura mit der Peripherie verbunden.

Die Dura septalis besteht aus Septen, die in das Schädelinnere vorspringen. Funktionell und klinisch bedeutungsvoll sind die Hirnsichel (Falx cerebri) und das Kleinhirnzelt (Tentorium cerebelli).
Die Hirnsichel dringt, in der Medianebene von der Calvaria ausgehend, tief in die Fissur zwischen den beiden Großhirnhemisphären ein. Das Kleinhirnzelt spannt sich zwischen den Oberkanten der Felsenbeinpyramiden und dem Hinterhauptsbein aus. Es überdacht die hintere Schädelgrube, trennt die Okzipitallappen der Hemisphären vom Kleinhirn, ist mit dem hinteren Abschnitt der Hirnsichel verbunden und besitzt eine breite Öffnung (Tentoriumschlitz), dessen Ränder das durchtretende Mittelhirn umgreifen (Abb. 1).

Bei intrakranialen raumfordernden Prozessen mit Massenverschiebungen kann es unterhalb des freien Randes der Hirnsichel, im Bereich des Tentoriumschlitzes und am Foramen magnum zur Einquetschung von Hirnsubstanz (Herniation) kommen, u. U. mit Verlagerung des Hirnstammes und Schädigung von Hirnnerven durch Druck oder Zug (Abb. 1).

In der kranialen Dura befinden sich die septalen und parietalen Blutleiter (Sinus durae matris). Die letztgenannten liegen zwischen den beiden Blättern der parietalen Dura (eben so wie das Ganglion trigeminale, das in eine Duratasche eingelagert ist).
Unter den Sinus nimmt der (paarige) Sinus cavernosus eine Sonderstellung ein (Abb. 2). Er liegt an der Seitenfläche des Keilbeinkörpers (und damit in Nachbarschaft zur Keilbeinhöhle) und neben der Hypophysengrube, diese mit seiner Wand lateral begrenzend. Durch den Sinus hindurch ziehen die A. carotis interna und der N. abducens, in der Seitenwand verlaufen die Nervi oculomotorius, trochlearis, ophthalmicus und maxillaris. Dorsolateral vom Sinus, von ihm nur durch ein Duraseptum getrennt, liegt die Duratasche des Trigeminusganglions. Diese Tasche grenzt ihrerseits an die Vorderfläche der Pyramidenspitze, die ausgehöhlt sein kann durch pneumatische Knochenzellen (Cellulae petro-apicales), die über Zellketten mit der Paukenhöhle zusammenhängen.
Aufbau und Nachbarschaftsbeziehungen des Sinus cavernosus machen es verständlich, dass vielfältige extra- und intrasinusale Prozesse u. a. seinen Blutdurchfluss, die durchziehenden Nerven und das Trigeminusganglion beeinträchtigen bzw. in Mitleidenschaft ziehen können.

Sowohl Teile der kranialen Dura (vor allem basale Abschnitte und die Septen) als auch die zugehörigen Duragefäße werden sensibel (nozizeptiv) innerviert (was die Begriffe Dura- und Duragefäß-Schmerz legitimiert), überwiegend durch die drei Trigeminusäste, z. T. aber auch durch den N. vagus und obere Spinalnerven. Zu den trigeminalen Nervenfasern für die Gefäße treten noch sympathisch-vasomotorische und serotoninerge Fasern hinzu.
Zusammenfassend kann von einem trigemino-vaskulären System gesprochen werden. In der folgenden (z. T. hypothetischen) Konzeption der Pathogenese der Migräne wird diesem System eine zentrale Rolle zugeordnet. Initialer Stimulus beim Migräneanfall ist darin die Aktivierung von Serotonin-Rezeptoren (Typ 2B) des Endothels der meningealen Blutgefäße, die durch Serotonin aus serotoninergen Nervenfasern oder aus Thrombozyten erfolgen kann. Diese Aktivierung bewirkt die Freisetzung von Stickoxid (NO) aus den Endothelzellen. NO dilatiert erstens die Blutgefäße, wodurch die pulssynchronen Schmerzen erklärt werden können. Es stimuliert zweitens die vaskulären sensiblen Trigeminusfasern. Neben dem Auftreten von Schmerz, Übelkeit und Erbrechen wird dadurch eine von Trigeminusfasern ausgehende neurogene Entzündung ausgelöst, die sich in der Dura über Kollateralen der Nervenfasern ausbreiten kann und die die Migränesymptomatik verstärkt.
Der z. T. hypothetische Charakter dieser Konzeption soll nochmals explizit betont werden. Auf ihrer Grundlage lassen sich jedoch z. B. die Wirkungen vieler empirisch erfolgreicher Migränemittel erklären.