Der Arm - Funktionelle Embryologie

Irmfried Paul
Institut für Anatomie der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Fr.-Loeffler- Straße 23 c, 17487 Greifswald

 

  1. Somitenentwicklung
  2. In der 3. Embryonalwoche beginnen sich beiderseits des primitiven Achsenskeletts, der Chorda dorsalis, im mittleren Keimblatt, dem Mesoderm, die Somiten (Ursegmente) zu bilden. Sie stellen ausgehöhlte, epithelial strukturierte würfelförmige Zellkomplexe dar, die längs der Chorda in kranio-kaudaler Abfolge angeordnet sind (Abb. 1). Bis zum Ende der 5. Woche werden 3 okzipitale, 8 zervikale, 12 thorakale, 5 lumbale, 5 sakrale und 3 kokzygeale Paare angelegt (von einigen Paaren abgesehen, die sich rasch wieder auflösen).

    Aus Somitenzellen entsteht u.a. quergestreifte Muskulatur, die aufgrund ihrer Herkunft insgesamt als somatische Muskulatur bezeichnet wird. Dazu gehören die Zungenmuskulatur, die Extremitätenmuskulatur und die Muskeln des Halses und Rumpfes, soweit sie von Spinalnerven innerviert werden.

    Zu jedem Somit entwickelt sich ein segmentaler Nerv. Den okzipitalen Somiten sind präzervikale Spinalnerven, den folgenden die Spinalnerven zugeordnet. Die Verbindungen zwischen Nervenfasern und Somitenzellgruppen, aus denen bestimmte Gewebeanteile hervorgehen, sind dauerhaft, d. h. die Fasern folgen den Zellen bei deren Migration. Die Innervation der Gewebeanteile verrät später, aus welchen Somiten sie abstammen.

    Die okzipitalen Somiten nehmen eine Sonderstellung ein. Aus ihnen geht die Zungenmuskulatur hervor. Die präzervikalen Spinalnerven bilden den N. hypoglossus.

    Die zervikalen und folgenden Somiten lassen sich in der weiteren Entwicklung jeweils in 3 Abschnitte gliedern: in Sklerotom, Somiten-Dermatom und Somiten-Myotom (Abb. 2). Die medial gelegenen Sklerotome lösen sich auf, ihre Zellen wandern nach medial, umgeben Chorda und Neuralrohr und bilden dort das Anlagematerial für die Wirbelsäule. Die Somiten-Dermatome repräsentieren unter dem Ektoderm gelegene Zellschichten, die die myogenen Stammzellen für die Entwicklung der Extremitätenmuskulatur enthalten. Außerdem liefern sie Mesenchym für die Bildung der bindegewebigen Anteile (Dennis und Subcutis) der Haut des Rückens, genauer gesagt für das Bindegewebe derjenigen Dermatomabschnitte, die von den Dorsalästen der Spinalnerven innerviert werden. Die ventralen Dermatomabschnitte, von den Rami ventrales innerviert, entstehen dagegen nicht aus Somiten, sondern aus dem Mesenchym der Körperwand.

    Aus den Somiten-Myotomen, Zellschichten an der Innenseite der Somiten-Dermatome, geht die somatische Hals- und Rumpfmuskulatur hervor. Jedes Somiten-Myotom bildet in der 6. Woche eine dorsal gelegene Zellgruppe, das Epimer, und eine ventrale Gruppe, das Hypomer. Aus den Epimeren entwickelt sich die autochthone Rückenmuskulatur, aus den Hypomeren die übrige genannte Muskulatur .Mit dieser Untergliederung ist die Aufteilung des zugehörigen Spinalnerven in seine beiden Hauptäste (R. dorsalis und R. ventralis) verbunden. Der Dorsalast innerviert motorisch Epimerderivate und sensibel den aus dem Somiten-Dermatom stammenden bindegewebigen Hautanteil, woraus sich die exklusive Innervation der autochthonen Rückenmuskulatur und der darüber liegenden Haut erklärt.

  3. Entwicklung der oberen Extremitäten
  4. Am Beginn der Entwicklung entstehen zunächst Knospen der ventrolateralen Körperwand, die am Ende der 4. Woche sichtbar werden. Sie bestehen aus embryonalem Bindegewebe der Körperwand (das aus dem Mesoderm hervorgeht), d.h. aus einem mesenchymalen Kern, überzogen vom oberflächlichen Ektoderm. Nach Verlängerung werden ihre distalen Abschnitte als Handteller abgeplattet. Beim 6 Wochen alten Embryo sind am Handteller vier radiär verlaufende Furchen zu erkennen, die den Metacarpus untergliedern und distal die Fingeranlagen gegeneinander abgrenzen.

    1. Knochenentwicklung
    2. Im Zentrum einer Extremitätenanlage verdichtet sich Mesenchym zum Vorknorpelblastem, das sich in proximo-distaler Richtung verlängert und vorübergehend eine kontinuierliche Einheit bildet. Durch lokale Zelluntergänge wird es untergliedert. Aus den Vorknorpelblastemen entstehen in der 6. Woche zunächst hyalinknorpelige Modelle für die späteren Knochenelemente (ausgenommen die Clavicula). Durch Knorpelabbau und Knochenbildung, ausgehend von Ossifikationszentren, wird der Knorpel durch Knochen ersetzt (mit Ausnahme des Knorpels der Wachstumsfugen und der Gelenke): Ersatzknochenentwicklung. Die Clavicula ossifiziert desmal, d.h. es verknöchert die Bindegewebsanlage.

    3. Entwicklung der Muskulatur und des Plexus brachialis
    4. Die Muskulatur entwickelt sich nicht, wie lange Zeit angenommen, in loco aus dem embryonalen Bindegewebe der Extremitätenknospen, sondern, wie oben besprochen, aus Somitenzellen. Myogene Stammzellen der vier kaudalen Hals- und des ersten Brustsomiten wandern in das Mesenchym einer Knospe ein und bilden im proximalen Abschnitt zunächst einheitliche ventrale und dorsale Vormuskelblasteme (für die Flexoren- bzw. Extensorengruppe). Dem entsprechen ventrale und dorsale Plexusäste. Die Blasteme dehnen sich nach distal aus und werden schließlich durch das ortsständige embryonale Bindegewebe (bis Mitte des 3. Monats) in Einzelmuskelblasteme untergliedert. Sekundär kommt es zu einer Verschiebung von Blastemen, wodurch Extremitätenmuskulatur auf den Rumpf gelangt (spinohumerale und thorakohumerale Muskulatur).

      Fast alle Muskeln der oberen Extremität sind plurisegmental aufgebaut, d.h., es vereinigt sich myogenes Zellmaterial aus mehren Somiten in komplizierter Weise zu einem einheitlichen Blastem, aus dem ein Muskelindividuum hervorgeht. Wegen des durch Zellmigration nicht lösbaren Zusammenhangs zwischen Somiten und zugehörigen Spinalnervenästen müssen derart polymerisierte Muskeln zwangsläufig durch periphere Nerven versorgt werden, die Fasern aus mehreren Spinalnerven (bzw. deren Vorderwurzeln) enthalten.
      Die Aufteilung von Spinalnerven und Formierung pluriradikulär zusammengesetzter peripherer Nerven ist mit Faserverflechtungen verbunden (Plexusbildung). Beim Aufbau des Plexus brachialis (in der 5. Woche) verflechten sich Fasern aus den Ventralästen mehrerer Spinalnerven (aus den Segmenten C5 bis T1) zu Trunci und Fasciculi, von denen dann periphere Plexusäste (mit Fasern aus mehreren Radices) abzweigen (Abb. 3).

    5. Dermatome
    6. Mit Verlängerung der Armknospe werden die (vom Plexus brachialis innervierten) ventralen Abschnitte der Dermatome C5 bis T1 aus ihrer ursprünglich gleichförmigen Anordnung am Rumpf auf die Knospe gezogen (Abb. 4). Sie verlieren dadurch den Zusammenhang mit dem Rumpf und die Verbindung mit ihren (von Rami dorsales der zugehörigen Spinalnerven innervierten) dorsalen Abschnitten. Die prinzipielle Anordnung der ventralen Dermatomabschnitte nach Wachstumsabschluß erklärt sich vor diesem Hintergrund zwanglos: in regelrechter Reihenfolge umlaufen sie (rechts, von vorn gesehen) die Kontur des Armes im entgegengesetzten Uhrzeigersinn (Abb. 5).

       

Abbildung 1

 

 

Abbildung 2

 

 

Abbildung 3

 

 

Abb. 4: Schema der Dermatomanordnung
an der Armknospe
Abbildung 4

 

 

Abbildung 5 Abbildung 5
Abb. 5: Innervationsfelder der Haut des Armes (nach Hansen und Schliack). Ansicht von vorne (oben) und von hinten (unten)
(Von den Dermatomen C5 – Th1 sind nur die vom Plexus brachialis innervierten ventralen Abschnitte eingezeichnet. Ihre dorsalen Abschnitte fehlen in der unteren Abbildung. Anatomisch sind sie jedoch nachweisbar.)